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  • Johanna Tüntsch

FLUTKATASTROPHE: DER LANGE WEG ZURÜCK



Die Regionen, die von der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 schwer betroffen waren, sind noch weit von der Rückkehr in ein normales Leben entfernt. Die Agentur ROOS hat daher vor Weihnachten keine Kundengeschenke verschickt, sondern eine Spende gemacht. Exemplarisch berichten wir aus Bad Münstereifel vom Zustand des Ortes sechs Monate nach der Flut.


Wer am Samstagvormittag nach Bad Münstereifel hineinläuft, findet die engen Gassen zwischen den Fachwerkhäusern fast menschenleer vor. Was auf den ersten Blick als übliche Wochenend-Ruhe einer Kleinstadt anmutet, entpuppt sich nach wenigen Biegungen als Spätfolge der Hochwasserkatastrophe, die am 14. Juli über zahlreiche Orte in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hereinbrach: Je näher man der Erft kommt, die sich durch das Zentrum des mittelalterlichen Städtchens zieht, desto mehr bestimmen Baustellen das Bild. Vor einer früheren Parfümerie, deren Schaufenster jetzt leer sind, ist ein großer Sandhaufen aufgeschüttet. Kopfsteinpflaster wechselt mit Bereichen, in denen der Straßenbelag komplett entfernt und Sand aufgeschüttet wurde. Von einem Haus, in dem einmal ein Café war, ist im unteren Bereich der Fassadenputz abgeschlagen. Durch die Scheiben sieht man aufeinander gestapelte Stühle, Bananenkisten und einen Zementmischeimer. Bis hier wieder Törtchen und Cappuccino serviert werden, dürfte es dauern.

„Was Sie hier sehen, ist nicht ein schreckliches Ende, sondern ein Anfang“, verkündet hoffnungsvoll ein Schreiben in einem Schaufenster, das einst zu einem Buchladen gehörte. Jetzt gibt es nur noch den Blick auf ein Trocknungsgerät frei. Innerhalb eines Jahres könnte alles wieder aufgebaut sein, schätzt der Buchhändler in seinen Zeilen. Sie stammen vom August 2021. Jetzt, fast fünf Monate später, braucht der Betrachter einigen Optimismus, um diese Zeitplanung für machbar zu halten.



BANGEN UM FINANZIELLE ZUSAGEN


„Es ist schwer, Handwerker zu finden. Bis man überhaupt ein Angebot bekommt, dauert es sechs bis acht Wochen: Das ist inzwischen gang und gäbe“, so die Erfahrung, die Elke Schönig gemacht hat. Sie und ihr Mann Gonpo betreiben das „Norbulaedchen“, in dem sie Strickwaren aus Tibet, Nepal und Indien anbieten. Erst 2019 sind sie aus Kerpen nach Bad Münstereifel gezogen, da sie hier ein Haus fanden, in dem sich Wohnung und Laden unter einem Dach kombinieren ließen. In der Flutnacht hatte das zumindest den Vorteil, dass sie sofort reagieren konnten, als das Wasser kam. Dafür ist sie dankbar, da die Wiederbeschaffung aufwendig gewesen wäre: „Auf die Yakwolle aus Nordindien und Schafwolle aus der Mongolei mussten wir ein Jahr lang warten. Weil wir alles in Kunststoffboxen hatten, konnten wir es einigermaßen schnell nach oben bringen. Aber als wir bis zur Hüfte im Wasser standen, haben wir aufgehört“, berichtet sie. Als das Wasser abgelaufen war, fanden sie im Schlamm noch das zerstörte iPad ihres Sohnes, der es überstürzt abgelegt hatte, als er zu helfen begann. Bis der Laden wiederhergestellt ist, bieten die Schönigs ihre Tücher online und auf Märkten an.

Elkes Mann ist Vollzeit mit dem Norbulaedchen beschäftigt, sie selbst hat nebenher einen Bürojob, so dass zumindest von dieser Seite Geld in die Kasse kommt. Trotzdem macht sie sich Gedanken, da die Kosten, die gestemmt werden mussten und noch vor ihnen liegen, groß sind: „Das Gutachten zum Wiederaufbau des Ladens kostete allein schon 1.500 Euro. Meine größte Sorge gilt jetzt dem Antrag auf Wiederaufbau. Wir haben ihn am 22. September eingereicht und noch nichts Konkretes dazu gehört.“ Aus ihren Ersparnissen haben die Schönigs 30.000 Euro vorgestreckt. Inzwischen weiß Elke Schönig nicht mehr, was sie sich wünschen soll: „Einerseits hoffe ich auf Handwerker, andererseits bin ich froh, dass ich keine finde, denn ich könnte sie momentan gar nicht bezahlen.“ Auf Facebook ist sie mit anderen Betroffenen vernetzt. Wenn sie dort Bilder der vielen Schäden sieht, empfindet sie den Schrecken über den Ausnahmezustand noch intensiver als im Alltag: „Mein Kopf hat sich daran gewöhnt, aber wenn ich auf Facebook Fotos von Dingen sehe, an denen ich täglich vorbeigehe, dann merke ich erst, wie heftig das ist.“



" ICH HABE MEINEN KÖRPER VERHEIZT"


Eine, die nach der Katastrophe sofort reagiert hat, ist Michaela Baum. Sie betreibt die Boutique „Frauenzimmer“, die in einem Eckhaus liegt und schon wieder wie neu aussieht. Immer wieder passiert es, dass Besucher sagen: „Sie hatten ja Glück, Sie waren gar nicht betroffen!“ Doch so ist es nicht: Auch in ihrem Laden stand 1,50 Meter hoch das Wasser. Die Ware war ruiniert, die Ausstattung ebenfalls – darunter ein antiker Apothekerschrank, den sie nicht ersetzen konnte. Aber nach ihren Erfahrungen mit dem Prozedere rund um die Corona-Hilfen hatte die Boutiquebetreiberin nicht mehr die Geduld, sich noch einmal der Bürokratie zu stellen: „Ich hatte irgendwann keine Kraft mehr, mich mit dem Papierkram herumzuschlagen.“ Versichert gegen Flutschäden war sie auch nicht. Aus eigenen Mitteln hat sie sofort wieder alles in Ordnung gebracht. „Man hat funktioniert, ohne zu wissen, dass man funktioniert“, sagt sie rückblickend: „Aber ich habe dabei meinen Körper verheizt.“ Unter der riesigen Herausforderung, die sie bewältigt hat, hat ihre Gesundheit gelitten – und auch ihr Nerven. „Kürzlich war ich im Urlaub. Wenn ich gefragt wurde, wo ich herkomme, habe ich einen Ort genannt, den ich überhaupt nicht kenne. Ich hatte einfach keine Lust mehr, darüber zu reden, was hier los war“, gibt sie zu.



ES FEHLT AN GUTACHTERN UND HANDWERKERN


Auch, wer nicht mit seinem persönlichen Hab und Gut betroffen war, leidet unter der Situation im Ort. „Wenn man jeden Tag rausgeht und sieht die Zerstörung, ist das nicht einfach“, sagt Martina Frenzel. Vor anderthalb Jahren sind sie und ihr Mann aus der Kölner Südstadt in die Eifel umgezogen. „Bad Münstereifel war ein Paradies! Wir haben gerne draußen im Café gesessen und den Touristen zugesehen“, erzählt sie. Jetzt, da das Café geschlossen hat, trinkt sie ihren Cappuccino zu Hause. Einen Milchaufschäumer hat sie im örtlichen Haushaltswarenladen gekauft, der als einer der wenigen schon wieder geöffnet hat. Von fast 70 Einzelhändlern, die es nach ihrer Schätzung hier – zusätzlich zum Outlet – gegeben hat, hätten bislang nur zwei Friseure, eine Boutique, der Haushaltsladen und ein Buchladen geöffnet. „Es ist für die Geschäftsleute schwierig, Gutachter zu kriegen. Auch Handwerker fehlen. Viele machen die Erfahrung: Wenn Handwerker kommen, um ein Angebot zu machen, hört man danach nie wieder etwas von ihnen“, berichtet sie.

Um den Wiederaufbau des Ortes im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen, hat Martina Frenzel in den vergangenen Monaten Spendensammlungen in Köln organisiert und zahlreiche Gespräche geführt. Derzeit werden die Möglichkeiten zum Hochwasserschutz diskutiert. Einige meinen, dass man innerhalb der Stadtmauern wegen des Denkmalschutzes nicht viel gegen das Hochwasser tun könne und sehen den Erftverband in der Verantwortung, bereits oberhalb des Ortes, hinter der Quelle der Erft, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Andere fordern, dass die Stadt außerdem selbst Schutzkonzepte umsetzt – etwa, den Grund der Outlet-Parkplätze wasserdurchlässig zu gestalten und diese auch tieferzulegen, so dass ein Teil des Wasser hier abfließen könnte.



"IM DESASTER LIEGT AUCH EINE CHANCE"


Ein Anwohner, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, kritisiert, dass Bürgerbeteiligungen nur pro forma abgehalten werden. „Entscheidungen stellen sich nach außen hin demokratisch dar, aber dann stellt man fest: Im Vorfeld wurde schon beraten, welche Entscheidungen zum Abschluss gebracht werden sollen – obwohl man die erst mal hätte besprechen sollen.“ Er würde sich wünschen, dass die Eingabefristen und -wege stärker berücksichtigt würden, da die Menschen im Alltag gerade vor akuten Problemen stehen und zum Teil nicht einmal in ihren eigenen Wohnungen leben können. Besorgt beobachtet er: „Es gibt den Wunsch, den Status Quo möglichst schnell wieder herzustellen. Der Outlet-Betreiber und die Händler möchten wieder öffnen, wirtschaftlich ist das verständlich. Viele haben von der Situation rund um das Outlet profitiert – aber die Bewohner nicht. Die wurden verdrängt, zum Beispiel, weil über den Outlet-Geschäften Wohnungen für große Lüftungssysteme gebraucht wurden“, prangert er an und fordert: „Die Bewohner der Kernstadt sollten mehr respektiert werden. Dann liegt im Desaster auch eine Chance, künftig zu berücksichtigen, was bisher nicht ausreichend bedacht wurde – zum Beispiel Nachhaltigkeit, Regionalität und regenerative Energie.“


http://www.norbulaedchen.de/


Fotos: Johanna Tüntsch/Martina Frenzel

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