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Johanna Tüntsch

EIN BISSCHEN JAPAN AM NIEDERRHEIN



HOCHPREISIGE WAGYU-RINDER BIETEN LANDWIRTEN EINEN NISCHENMARKT. DER AUFBAU EINER HERDE KOSTET JEDOCH VIEL ZEIT UND GELD.


„Landwirtschaft ist nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebensform“, sagt Carsten Schroeder, der im niederrheinischen Emmerich in dritter Generation einen Bauernhof führt, den seine Großeltern nach ihrer Flucht aus Pommer aufgebaut haben. Auch sein Bruder Ralf beschreibt diese frühe Prägung: „Wenn man als Jugendlicher am Wochenende spät nach Hause kam und morgens der Vater uns brauchte, war man da. Der Hof stand im Vordergrund.“ Bis heute ziehen die Brüder gemeinsam an einem Strang, auch wenn Ralf aus der aktiven Landwirtschaft ausgestiegen ist und als Grafiker in Köln lebt: Jetzt haben sie sich, neben Milchviehhaltung und Ackerbau, dem Aufbau und der Vermarktung einer außergewöhnlichen Rinderherde verschrieben. Wie das funktioniert, berichteten sie bei einem Treffen des Marketing Clubs Köln-Bonn, das auf dem Gertrudenhof in Hürth-Hermülheim stattfand.



GESCHÜTZTES KULTURGUT: WAGYU-SPERMA DARF JAPAN NICHT VERLASSEN


„Wagyu“ heißt die Rasse, um die sich bei den Schroeders alles dreht – landläufig besser bekannt als „Kobe-Rinder“, aber das ist nicht ganz korrekt. „Kobe“ darf das Fleisch nur dann heißen, wenn es aus der Region um die gleichnamige japanische Stadt kommt. „Wagyu bedeutet: ‚japanische Rind‘“, erklärt Landwirt Carsten Schroeder. Durch einen Zufall hat er die Sorte kennengelernt, die in Japan als reinrassiges Kulturgut wertgeschätzt wird. Ihre Zucht, um die Landwirte weltweit eifern, beschreibt er wie ein Politikum: Kürzlich sei in Japan ein Chinese am Flughafen festgenommen worden, der in der Manteltasche ein Röhrchen mit Wagyu-Sperma außer Landes schmuggeln wollte. „In den 70er Jahren haben erstmals Wagyu-Rinder Japan verlassen. 300 Tiere wurden in die USA verbracht, aus ihnen besteht die ganze Population außerhalb Japans“, so Schroeder.



SCHNELLER SATT BEI DER AMMENKUH


Die Tiere kosten mit etwa 10.000 bis 15.000 Euro ein Vielfaches des Preises, den Züchter mit rund 2.000 Euro für die schwarz-bunten Rinder veranschlagen, die man aus Deutschland kennt. Ansätze, die Zucht etwas günstiger zu gestalten, bewähren sich nicht unbedingt: „Wir haben für 11.000 Euro Embryonen gekauft und in unsere Milchkühe eingesetzt, aber nur ein Kalb überlebte“, so der Landwirt. Nach einem weiteren gescheiterten Versuch habe er sich entschieden, eine Herde zu kaufen, die inzwischen 84 Tiere umfasst. Anders als in vielen anderen Fällen bleiben die Kälber bei ihren Müttern, die mitunter von einer schwarz-bunten Ammenkuh unterstützt werden. Diese europäische Rasse ist größer und kräftiger als die japanische, was sich auch im Sättigungsgehalt der Milch abbildet: „Die Kälber haben schnell raus, dass sie bei ihnen nur sehr kurz trinken müssen, um den Effekt zu erreichen, für den sie bei der eigenen Mutter eine halbe Stunde brauchen“, schmunzelt der Landwirt.



WEIDERINDER SCHAFFEN LEBENSRAUM FÜR VÖGEL UND INSEKTEN


Die Herde lebt dort, wo Jahrzehnte vorher keine Rinder mehr grasen sollten – und in der Geschichte der Schroeder-Weiden zeigt sich eine Paradoxie im Umgang mit Natur und Tier. Nach früherem Verständnis entsprachen nämlich der frühe Schnitt und die darauffolgende Beweidung nicht den Vorstellungen des Naturschutzes und damit verbunden nicht dem Anliegen, einer intensiven Grünlandnutzung entgegenzuwirken. „Der Naturschutz hatte die Rinder aus der Fläche vertrieben“, berichtet Ralf Schroeder, jedoch: „Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass durch die ständige Beweidung mit Rindern freie Äsungsflächen entstehen, die für Vögel und Kleintiere unentbehrlich sind. Die Kuhfladen fördern auch das Bodenleben. Insekten und Würmer finden sich hier und dienen anderen Tierarten als Nahrungsquelle. Die Beweidung mit Rindern trägt somit zur Artenvielfalt bei.“ 



DAS ZARTE FLEISCH HAT SEINEN PREIS


„Landwirtschaft und Naturschutz haben lange sehr gegeneinander gearbeitet“, ergänzt Carsten Schroeder. Heute hingegen kooperieren Landwirte und Naturschutz – mit nützlichem Wissenstransfer für beide Seiten. Deswegen gilt nun wieder das Credo: Tiere hinaus auf die Weide. Für die niederrheinischen Wagyus eine ideale Situation: Im Naturschutzgebiet am Altrhein-Arm finden sie ideale Bedingungen für ihr Rinderleben vor. Das dauert bei den Wagyus deutlich länger als bei anderen Rindern, die zum Verzehr bestimmt sind: „Es dauert 36 Monate, bis sie fertig sind“, so Carsten Schroeder. „Fertig“, das heißt aus Sicht des Feinschmeckers: Ihr Fleisch ist komplett durchzogen mit einer filigranen Marmorierung von Fett. Die sorgt dafür, dass das Wagyu-Fleisch wesentlich weicher und zarter ist als anderes Rindfleisch, in seiner Konsistenz sogar eher an Lachs erinnert.

Das lassen sich Liebhaber etwas kosten: Ein Wagyu-Steak kann zwischen 90 und 180 Euro pro Kilogramm kosten. Bedingt verschicken die Schroeders das Fleisch, die Hauptverkaufsstelle ist jedoch der Hof. Wer sich für einen Besuch dort interessiert, sollte sicherheitshalber vorher anrufen. Bekannt gemacht haben die Schroeders ihre Zucht und Direktvermarktung auf unterschiedlichen Kanälen. Ergänzend zur Website werden die sozialen Medien bespielt, Tagespresse und regionales Fernsehen haben berichtet, vieles über Mundpropaganda – und wenn Mails verschickt werden, verzichten sie auf einen Verteiler und kontaktieren stattdessen ihre Kunden persönlich und individuell. 

Ihre Erfahrung, dass Landwirtschaft neben Transparenz und einem hohen Maß an persönlichem Einsatz auch eine Nische braucht, um bestehen zu können, teilt Peter Zens, Inhaber des Gertrudenhofes und Gastgeber des Abends: „In den nächsten drei, vier Jahren werden noch viele Betriebe schließen. Es überleben nur die, die einen Sonderweg finden. Das gelingt aber nicht allen“, warnt er und prangert an: „Das ist das Kranke an unserem System: Es reicht nicht mehr, einen Betrieb gut zu führen.“







QUELLEN

Fotos: Hof Schroeder

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