top of page
  • Johanna Tüntsch

DER K(R)AMPF MIT DEN VERPACKUNGEN





WARUM RECYCLING DAS GEBOT DER STUNDE IST



Immerhin: Die deutschen Verbraucher lagen 2019 als Müllproduzenten im europäischen Vergleich nicht ganz vorne. Dänemark, Luxemburg, Malta und Zypern stehen in der Statistik der Europäischen Kommission noch schlechter dar als wir. Aber mit 609 kg Haushaltsmüll pro Jahr liegen wir deutlich über dem EU-Durchschnitt (502 kg) und verursachen mehr als doppelt so viel Müll wie ein Mensch in Rumänien (280 kg). Auch Polen, Estland und Ungarn schaffen es, mit 336 bis 387 kg Haushaltsmüll pro Person und Jahr auszukommen. (1)


Wie kommt das zustande? Betrachtet man Malta und Zypern als Sonderfälle, da hier nach einer Einschätzung seitens des Europäischen Parlamentes Touristen das hohe Abfallaufkommen verursachen (2), ist bei den anderen ein Zusammenhang erkennbar: Wer mehr verdient, macht auch mehr Müll. Schließlich können Menschen mit gutem Einkommen mehr konsumieren. Sie können mehr ausgediente oder aus der Mode gekommene Stücke aussortieren – genau, meist in den Müll – und neue anschaffen. Die stecken dann oft in einer Verpackung, die ebenfalls im Müll landet. Auch die Versorgung im täglichen Leben ist in Ländern mit hohem Standard tendenziell auf Komfort und auf das Unterwegssein ausgerichtet. Weil handliche Einheiten einfach praktisch sind, sind an dieser Stelle wiederum eine Menge Verpackungen im Spiel, die nach und nach in der Tonne landen.


EXPERTEN SEHEN BILLIGE PREISE UND UNKENNTNIS ALS HAUPTPROBLEM


Anfang des Monats hat das Umweltbundesamt (UBA) eine 100 Seiten starke Publikation vorgelegt: „Handlungsfelder zur Steigerung der Ressourceneffizienz“. Denn Müll sollte nicht mit einer Endstation in der Tonne oder auf der Kippe gedacht werden. Vieles von dem, was dort landet, sind Wertstoffe. Ressourcen, die man nutzen kann – und, da sie begrenzt sind, unbedingt auch nutzen sollte. Eigentlich ist das bekannt. Umgesetzt wird es trotzdem noch viel zu wenig. Warum? Dazu haben die Autoren der UBA-Analyse „zwei Haupthemmnisse für Ressourceneffizienz identifiziert. Erstens fehlt vielfach ein Preissignal, welches ressourceneffiziente Entscheidungen begünstigt: ressourcenintensive Güter bzw. Praktiken sind häufig preisgünstiger, weil Umweltkosten der Extraktion, des Transports, der Herstellung (insbesondere auch Energie), aber auch der Umweltnutzen von Arbeit (bspw. bei Reparatur) in den Preisen nicht berücksichtigt sind. Dadurch werden falsche bzw. keine Signale für RE Entscheidungen gegeben. Zweitens hemmen vielfach fehlende Informationen entlang der Wertschöpfungsketten die Begünstigung von und/oder Entscheidung für ressourceneffiziente Alternativen.“ (3)


In einfachen Worten: Es ist zu leicht, die Kosten für den Ressourcenverbrauch Menschen anzulasten, die woanders leben oder später einmal leben werden. Außerdem wissen viele schlicht nicht, was sie tun müssen, um den ressourcenschonenden Weg zu gehen. Preispolitische Entscheidungen sind komplexe Prozesse, in die viele Aspekte hineinspielen. Vergleichsweise einfach lässt sich der Hebel aber am zweiten „Hemmnis“ ansetzen: der fehlenden Information. Verbraucher, Produzenten und Hersteller sind gleichermaßen darauf angewiesen, dass es leichter wird, nachhaltige Lösungen von anderen zu unterscheiden.


ORIENTIERUNGSHILFE FÜR DIE VERPACKUNGSINDUSTRIE: „MADE FOR RECYCLING"


Recycling ist mehr denn je das Gebot der Stunde. Es gilt, mit dem vorhandenen Bestand zu haushalten. Aber nicht jede Verpackung, die im Wertstoffmüll landet, kann wirklich in ihre Bestandteile zersetzt, aufbereitet und einem neuen Leben zugeführt werden. Schwierig wird die Rückführung in den Kreislauf immer dann, wenn mehrere Stoffe so miteinander verbunden sind, dass diese nicht mehr leicht von einander getrennt werden können. Beispiele dafür sind mehrschichtige Schinkenverpackungen und aromadichte Kaffeebeutel, in denen viele hauchdünne Lagen diverser Kunststoffe übereinander liegen, doch so kompliziert muss es nicht einmal sein: Schon so ein winziges Detail wie der Kleber des Etiketts auf einem Glas oder einer Dose kann einen Unterschied machen.


Während für die fachgerechte Entsorgung in der richtigen Tonne Verbraucher nur selbst Verantwortung übernehmen können, ist für den zweiten Teil des Problems einer der großen Akteure der Recyclingwirtschaft aktiv geworden. „Made for Recycling“ ist ein Siegel, vor allem aber eine Bewertungsmethode, die von der Interseroh Dienstleistungs GmbH, einem Tochterunternehmen der Alba Group, gemeinsam mit dem bifa Umweltinstitut entwickelt und vom Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV überprüft wurde. Sie gibt eine Einschätzung darüber, ob und wie gut sich eine Verpackung recyceln lässt. Mit dem Bewertungsprozess geht meist auch die Beratung einher, auf welche Weise die Verpackung optimiert werden kann. „So können wir gemeinsam mit unseren Kund*innen an einer maximalen Recyclingfähigkeit der Verpackungen arbeiten“, schildert Alba-Sprecherin Susanne Jagenburg im Interview. (4)


ROHSTOFFENGPÄSSE GEFÄHRDEN DIE VERSORGUNGSSICHERHEIT


Seitdem „Made for Recycling“ vor drei Jahren an den Start ging, haben die Experten von Interseroh schon über 1.300 Verpackungen analysiert. Die Unterschiedlichkeit der Unternehmen, deren Produkte zu den Siegelträgern gehören, zeigt: Recycling geht alle etwas an! Die Bio-Zentrale, einer der ältesten Vermarkter für Bio-Lebensmittel, ist ebenso dabei wie der Unilever-Konzern mit seiner Eismarke „Cremissimo“. Wichtig ist Interseroh, neben der Vergabe des wissenschaftlich belegten Siegels auch aufzuklären und eine zukunftsweisende Entwicklung anzustoßen: „Wir arbeiten sehr eng mit dem Handel, Inverkehrbringe*innen und Verpackungshersteller*innen zusammen, um hier ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und Recycling zu schaffen. Nur wenn alle Teilnehmer*innen der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten, kann eine vollumfängliche Kreislaufwirtschaft gelingen“, so die Alba-Sprecherin.


Wenn ein drohendes Problem schon lange bekannt ist, hat man sich irgendwann so sehr daran gewöhnt, dass man glaubt, es werde wohl gar nicht eintreten. Und falls doch, dann vielleicht nicht mit solcher Brisanz. Doch das stimmt nicht. Die Welt ist erschöpft – und das nicht nur im übertragenen Sinne, weil eine Pandemie die Menschen plagt. Erschöpft sind auch die Vorräte. Viele Stoffe, die wir im Alltag selbstverständlich verwenden, werden in relativ absehbarer Zeit so nicht mehr zur Verfügung stehen. Schon jetzt gibt es, wenn man genau hinsieht, einen Vorgeschmack des Mangels: So meldete Anfang des Monats die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. (IK) verschärfte Rohstoffengpässe. „Die Kunststoffverpackungshersteller sind alarmiert und in großer Sorge“, so IK-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Engelmann. Ein Ende der Situation sei nicht in Sicht, warnt er und skizziert ein beunruhigendes Bild: „Wenn die Produktion von Verpackungen mangels Rohstoffen still steht, gefährdet das auch die systemrelevante Versorgung der Bevölkerung mit sicher verpackten Lebensmitteln und medizinischen Produkten.“ (5)









(4) Interview mit Susanne Jagenburg, Pressesprecherin ALBA Group / Head of Media Relations




bottom of page