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  • Johanna Tüntsch

ALLES SO SCHÖN BUNT HIER


Was Obst und Gemüse mit Emanzipation und Gleichberechtigung zu tun haben







Als zum Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Universitäten zunehmend auch die Immatrikulation von Frauen zuließen, haben Zeitgenossen diese Entwicklung mit großer Skepsis beäugt. Heute erscheint es uns normal, dass der Anteil an Männern und Frauen an Universitäten vollkommen gleich ist, damals war es vollkommen absurd. Sind wir also heute super modern? Leider nicht. Denn auch die Gegenwart ist an vielen Stellen von Chauvinismus und erschreckender Ignoranz geprägt. Beispiel Veggie-Day: Was ging da für ein Aufschrei durchs Land angesichts der vermeintlichen Horrorvorstellung, an einem Tag der Woche nur vegetarische Kost offeriert zu bekommen. Am Fleische hängt, zum Fleische drängt – zwar nicht alles, aber eben doch leider noch immer viel zu viel. Die Vereinten Nationen (UN) möchten deswegen ein Zeichen setzen: Sie erklärten das Jahr 2021 zum „Internationalen Jahr Obst und Gemüse“.


Obst und Gemüse, das klingt nett. Irgendwie nach Wohlfühlküche, feminin und figurfreundlich. Aber um besser einzuordnen, welche Dringlichkeit die UN Obst und Gemüse zusprechen, lohnt sich ein Blick auf die Liste dessen, was sonst noch alles nach Ansicht der Staatengemeinschaft dieses Jahr im Fokus stehen soll: Frieden und Vertrauen, Sicherheitskultur, die Stärkung der Kreativwirtschaft für nachhaltige Entwicklung, Gesundheits- und Pflegefachkräfte und das Ende der Kinderarbeit. Obst und Gemüse sind mehr als nur Bausteine für eine leichtere Ernährung. Sie sind ein Politikum von globalem Ausmaß.


NUTZTIERHALTUNG BESCHLEUNIGT DIE KLIMAKATASTROPHE

Lange schon ist bekannt, welche Folgen die Industrienationen mit ihrem übermäßigen Fleischkonsum der Welt zumuten. Er ist ein Brandbeschleuniger für alles, was Klimaschützer verhindern möchten. Besonders tragisch und unverantwortlich: Der Fleischverzehr der einen verursacht Hungersnöte und Wasserknappheit der anderen. Denn von den landwirtschaftlich nutzbaren Flächen der Welt werden 80 Prozent zur Tierhaltung verwendet oder für den Anbau von Pflanzen, die als Futtermittel benötigt werden. Um den verfügbaren Spielraum noch mehr zu vergrößern, wird in Südamerika der Regenwald abgeholzt. Mit ihm geht die Existenz indigener Völker genauso verloren wie der natürliche Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen. Gleichzeitig wird durch die klimatischen Zusammenhänge ein Prozess in Gang gesetzt, der auch in anderen Teilen der Welt ganze Landstriche unfruchtbar und unbewohnbar macht. Vom Tierwohl einmal ganz zu schweigen.


MIT OBST UND GEMÜSE WÜRDEN VIEL MEHR MENSCHEN SATT


Studien zeigen zum Beispiel, dass man auf der Fläche, die benötigt wird, um nur 4 Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, alternativ auch 96 Kilogramm pflanzliche Lebensmittel mit vergleichbarem Proteingehalt erzeugen könnte. Oder dass eine Fläche in der Größe ganz Afrikas zur Verfügung stünde, wenn auf der Welt keine Nutztiere mehr gehalten würden.


Wie auch immer der Ansatz ist, unter dem Strich stehen zwei Erkenntnisse. Die eine: Je fleischhaltiger die Ernährung, desto obszöner der zugrundliegende Ressourcenverbrauch. Die andere: Es gibt gute Chancen, dass an Hunger sterbende Kinder endlich Geschichte wären, wenn auf die Nutztierhaltung verzichtet würde. Immerhin leiden laut Unicef fast 700 Millionen Menschen weltweit an echtem Hunger, Tendenz steigend. In einer besseren Welt wäre den Menschen das vielleicht Grund genug, sich verstärkt oder komplett vegetarisch, vielleicht sogar vegan zu ernähren. Aber in einer besseren Welt hätten Frauen auch nicht erst viele Generationen voller Häme und Hürden hinter sich bringen müssen, um studieren zu dürfen.



OBST UND GEMÜSE: BESSER FÜR DIE GESUNDHEIT


Das Internationale Jahr für Obst und Gemüse kommt daher nicht mahnendem Zeigefinger daher, sondern fröhlich. Man möchte die Fleisch-Fans mit Charme um den Finger wickeln statt ihnen den Spaß zu verderben. Warum auch nicht? Schließlich ist die Auswahl so groß wie köstlich, und auch an Inspiration fehlt es keineswegs: kein Buchladen, der nicht ein einladendes Segment an Kochbüchern dekoriert hätte. Leichte Küche ist dabei besonders gefragt. Von Hausfrauen über Foodblogger bis hin zu Sterneköchen zeigen Experten, wie verlockend es sein kann, Obst und Gemüse von der Kategorie „Beilagen“ in Richtung „Hauptgericht“ zu verschieben.


Icon des Internationalen Obst- und Gemüsejahres ist ein lachendes Gesicht aus bunten Früchten. Unter seinem guten Einfluss sollen sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft besser vernetzen. Gleichzeitig erinnert das Internationale Jahr für Obst und Gemüse uns gut genährte Menschen in den Industrienationen daran, dass wir durch eine verstärkt pflanzliche Ernährung zuerst einmal jeder sich selbst einen Gefallen tut – schließlich ist es nicht nur die Unterernährung, die auf Dauer krank macht. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die oft in unmittelbarem Zusammenhang mit einer zu reichhaltigen Ernährung stehen, sind in Deutschland die häufigste Todesursache. Also höchste Zeit, sich öfter mal freiwillig für einen Veggie Day zu entscheiden.











Quellen:





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