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  • Johanna Tüntsch

DIE INTERESSEN DER ANDEREN

ERNÄHRUNGSRÄTE WEITEN DEN BLICK - UND DAS AN IMMER MEHR STANDORTEN.

In Walnut Grove waren die Strukturen noch überschaubar. Wenn Lehrerin Miss Beadle gegenüber der Schule in Olesons Krämerlädchen Eier oder Äpfel kaufte, dann wusste sie, dass diese von den gleichen Farmen stammten wie die Kinder, die sie unterrichtete. Angesichts dieser engen Vernetzung gab jeder sein Bestes und erhielt dafür Anerkennung. Die einen wussten, für wen sie produzierten, die anderen, woher das Essen kam, das sie sich auf den Teller legten: Nachbarschaftliches Miteinander war charakteristisch für die Kult-Serie „Unsere kleine Farm“. Kann man heute, angesichts der umfassenden Globalisierung, noch zurück zu einem solchen Leben?

Zumindest in Teilen versuchen das die Anhänger regionaler Konzepte, die sich jetzt in immer mehr Städten zusammenschließen und Initiativen gründen: Ernährungsräte nämlich, in denen Landwirte, Händler, Politiker und Verbraucher einer Region zusammen an einem Tisch kommen. Der erste deutsche Ernährungsrat entstand 2016 in Köln. Inzwischen gibt es schon über 40 weitere in Städten und Kreisen im deutschsprachigen Raum.

Vorreiter sind wir damit aber keineswegs! Sondern, das muss man an diesem Punkt einmal selbstkritisch zugeben: Wir hinken den USA in Sachen nachhaltiger, regionaler Ernährung hinterher – und das gleich um mehr als drei Jahrzehnte! Der erste Ernährungsrat wurde nämlich in Knoxville, Tennesse, gegründet, als dort 1982 die Weltausstellung war. Damals war die Vision der Initiatoren, auf Ernährungskrisen zu reagieren – oder, noch besser, sie verhindern zu können.

Heute geht es den Ernährungsräten hierzulande weniger um akute Krisen als vielmehr um die höchst problematische Gesamtlage des Lebensmittelsektors. Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe hierzulande müssen aufgeben, während große Teile der Nahrungsmittel importiert werden und dabei weite Strecken zurücklegen müssen: Das schmeckt keinem so richtig. Die Landwirte sehen sich in ihrer Existenz bedroht, die Verbraucher hinterfragen besorgt ihre Ökobilanz, Verwaltung und Politik bekommen so langsam eine Ahnung davon, dass das Höfesterben nicht gewollt sein kann, und die Händler fragen sich alarmiert, welche Folgen diese Missstände auf ihr Image haben werden.

Die Lösungen der Ernährungsräte fangen klein an. Sie setzen stark auf Austausch und Information. Außerdem entwickeln sie Projekte zum Urban Gardening, unterstützen den Gedanken der solidarischen Landwirtschaft, setzen sich für regionale Erzeugermärkte und Direktvermarktung ein und bringen zum Beispiel regionale Erzeuger und Großküchen zusammen. Damit haben die Kinder, die in der Schulmensa essen, im Idealfall eine Ahnung davon, woher die Lebensmittel stammen, mit denen sie mittags satt werden.

Das ist nicht ganz so wie ein Walnut Grove – aber ein Gedanke, der die Gemeinschaft damals getragen hat, kommt zurück: Wir schaffen es nur gemeinsam! Oder, wie Angela Merkel es in Davos formuliert hat: Wir sollten die Interessen der anderen mitdenken. Ernährung ist, da sie jeden betrifft, ein guter Punkt um damit anzufangen.

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