- Johanna Tüntsch
VERBRAUCHER, ZAHLT ENDLICH FAIRE PREISE!
LANDWIRTE HABEN NOT, AUSREICHEND VIELE ERNTEHELFER ZU FINDEN. DAS LIEGT NICHT ZULETZT AM KONSUMVERHALTEN DER DEUTSCHEN.
Vor längerer Zeit saß ich mit Bekannten zusammen. Einer der Männer führte die Fähigkeiten seines neuen iPhones vor. Ein anderer sprach von seinem kostspieligen Auto. Eine der Frauen sagte, sie sei froh, dass sie sich weite Reisen erlauben und gleichzeitig noch ihr Haus abzahlen könne. Dann fragte sie mich: „Wofür gibst du dein Geld aus?“
„Lebensmittel“, sagte ich – wahrheitsgemäß, aber wenig mondän und ziemlich konsterniert, da mich ihre Annahme, jeder würde ein kostspieliges Hobby oder Investment unterhalten, ziemlich überrumpelte.
Heute musste ich an diese Begebenheit wieder denken, denn „Zeit online“ stellte die Frage: „Wer rettet die Erdbeeren?“ In einem umfassenden Bericht schildert Nadine Oberhuber die Misere der deutschen Landwirte. Im Kern geht es darum, dass diese nicht mehr ausreichend Mitarbeiter für die Erdbeer- und Spargelernte finden. Für einen Lohn von 8,84 pro Stunde kriecht nämlich kaum jemand gerne auf Knien in der Frühsommersonne über die Felder. In anderen Branchen kann man sein Geld leichter verdienen; in einigen Ländern gibt es auch mehr Geld in gleicher Zeit.
Nun könnte man denken: Dann sollen die Landwirte ihren Helfern halt mehr zahlen! Aber so einfach ist es nicht. Der Preiskampf am Markt hält die Möglichkeiten der Erzeuger in einem engen Rahmen. Womit wir bei der anfänglichen Anekdote dieses Beitrags angelangt sind. Mein Bekenntnis, dass mein Geld zu großen Teilen in Lebensmittel fließt, verursachte am Tisch einen kurzen Moment peinlich irritierten Schweigens; dann wurde das Thema gewechselt. Dass Ernährung mit fair produzierten Lebensmitteln zu Recht teuer ist, wird nämlich gerne vergessen oder verdrängt.
Eine Recherche zu hiesigen Konsumausgaben zeigt, dass meine damaligen Gesprächspartner den Durchschnitt der Deutschen gut abbildeten. Die investieren etwa 35 Prozent ihrer Konsumausgaben ins Wohnen, 23 Prozent in Möbel, Ausgehen, Übernachtungen und Telekommunikation, weitere 14 Prozent in ihre Teilnahme am Straßenverkehr und zehn Prozent für Freizeit, Kultur und Unterhaltung. Die 14 Prozent, die daneben für die Ernährung anfallen, haben in diesem Ranking also keinen besonders prominenten Platz.
Das war nicht immer so. Noch 1960 hatten Lebensmittel im Kostenbuch der Privathaushalte einen Anteil von 38 Prozent, meldet das Portal Statista. 1970 waren es immerhin noch 25 Prozent. Und das, obwohl die Situation der Erntehelfer damals deutlich prekärer war: Viele von ihnen lebten als schlecht bezahlte Gastarbeiter in fragwürdigen Unterkünften. Da auch Schwarzarbeit über Jahrzehnte hinweg weit verbreitet war, waren viele nicht abgesichert und konnten nur hoffen, dass ihnen im Umgang mit den schweren Landmaschinen kein Unfall passierte.
Heute erinnern auf vielen Höfen die Unterkünfte für Saisonkräfte an schlichte Hotels oder Jugendherbergen mit gehobenem Standard. Es gibt solide möblierte, separate Schlafzimmer, einladende Küchen, WLAN und vernünftige Sanitäranlagen. Dadurch entstehen Kosten, die die Landwirte tragen – zusätzlich zu den Gehältern und Lohnnebenkosten.
Betrachtet man das logisch, müssten Nahrungsmittel heute viel, viel teurer sein als vor 40 oder 50 Jahren. Tatsächlich sind sie aber in Deutschland beschämend billig, und das liegt nicht etwa an den Handelsketten oder an den Landwirten. Es liegt daran, dass Lebensmittel als eine Selbstverständlichkeit betrachtet werden – nicht als etwas Großartiges, für das man gerne angemessen viel Geld ausgibt. Diesen Missstand müssen wir ändern. Wenn niemand mehr die Ernte einholen will, wird die Misere der Landwirte schnell zu einem Problem, das jeden von uns betrifft. Denn: Essen muss man.