FOOD-SHOPPING ONLINE - BITTE NICHT!
AM LIEBSTEN NICHT SO BEQUEM WIE MÖGLICH
Mit der wachsenden Nachfrage nach Online-Shops geht vieles von dem verloren, was das Leben lebenswert macht, findet Autorin Johanna Tüntsch.
Einkaufen gehen. Soweit ich zurückdenken kann, war das eine feste Größe in jedermanns Alltag. Das fing schon ganz früh an: mit dem Kaufladen, für den wir aus Knete Obst und Gemüse bastelten. Meine Mutter, die mit dem Hackenporsche zum Wochenmarkt lief. Wir Kinder bekamen dort an manchen Ständen einen Apfel oder eine Möhre geschenkt, als Wegzehrung. Beide Eltern gemeinsam: Großeinkauf mit dem Auto, am Samstagvormittag. Bis danach alle Kisten und Körbe in die Wohnung geschleppt waren, dauerte es eine ganze Weile – aber danach konnte man in aller Seelenruhe herrlich stöbern, was es da an frisch erstandenen Köstlichkeiten für die nächste Woche gab.
Als Kind mit fünf Mark in der Hand und einem altmodischen Korb über dem Arm die ersten Ausflüge allein machen zu dürfen, weil dann doch noch hier und da ein Liter Milch oder ein Stück Butter fehlte, hat Spaß gemacht und war ein gutes Training in Sachen Selbständigkeit. Unterwegs gab es Gelegenheit für nette Begegnungen und einen kleinen Plausch mit der Freundin, die vielleicht auch gerade zum Laden geschickt worden war.
Ein alter Herr aus der Nachbarschaft, der sich kurzatmig mit kleinen Tüten, die seine bescheidenen Vorräte bargen, die Treppen zum dritten Stock hinauf quälte, bis er irgendwann doch unser Angebot annahm und sich von uns beim Einkauf etwas mitbringen ließ. Meine Großmutter, die bis zum Alter von 92 Jahren zu Fuß über die Hügel ihres Schwarzwald-Dorfes marschierte, um im Tante-Emma-Laden zu holen, was auf den Tisch kommen sollte.
Und jetzt? Plötzlich wird das Einkaufen digitalisiert. Immer mehr Märkte eröffnen Online-Shops und bieten Lieferservice an. Wer nutzt diese mobilen Apps? Vermutlich nicht die betagten Damen und Herren, die heute die Rolle der Großmütter und seniorigen Nachbarn innehaben. Eher doch Menschen meiner Generation, oder auch solche, die schon als Digital Natives das Leben kennengelernt haben. Menschen, die jung oder vielleicht auch in einem mittleren Alter sind – ganz sicher aber noch fit genug, um den Weg zum Supermarkt zu meistern, und auch kräftig genug, ihr Körbchen bis in die eigene Küche zu tragen. Sie setzen auf vermeintliche Bequemlichkeit und fordern dafür den Märkten immer mehr Service ab. Muss das sein?
Und, viel wichtiger vermutlich, die Frage: Für wen ist das gut? Klar, wer wirklich aufgrund extremer Arbeitszeiten nicht in den Supermarkt kommt, ist froh, wenn er nicht die ganze Woche Tütensuppe essen muss. Dann ist es toll, wenn es einen Lieferservice für frische Produkte gibt. Aber die meisten Online-Shopper entscheiden sich ohne Not für diesen Bezugskanal – und merken nicht, was dadurch ihnen selbst entgeht.
Inspirierende Düfte in der Frischkost-Abteilung. Probieraktionen an der Käsetheke. Das Strahlen eines Kindes, dem unerwartet eine Scheibe Wurst zugesteckt wurde. Aufmerksame Beratung von Fachpersonal, das sich auskennt – einschließlich alter Haushaltstricks, ohne jede Verkaufsempfehlung. Das gute Gefühl, wenn an der Kassenschlange ein anderer Kunde mit vollem Einkaufswagen sagt: „Gehen Sie ruhig vor!“
Alles das könnte es bald nicht mehr geben. Stattdessen: Zugeparkte Autos, wenn in zweiter Reihe der Lieferwagen steht. Noch mehr Verkehr in den Wohngebieten. Eine sinnliche Verarmung, weil wir dann alle nur noch die Gerüche kennen, die uns aus der eigenen Küche entgegenströmen. Soziale Isolation – weil die digitale Warteschlange kein Lächeln für mich übrig hat, wenn ich ausnahmsweise einmal sage: „Ich habe es eilig, darf ich vielleicht vor?“
Mir graut vor dem Tag, an dem ich im Haus der Geschichte zwei Schulkinder vor einem Kaufladen stehen sehe und zuhören muss, wie sie darüber rätseln, was das wohl für ein seltsames Relikt vergangener Zeiten ist. Einkaufen ist eine Institution, die zum Leben gehört. Die Möglichkeit zum Einkaufen vor Ort ist ein Geschenk. Nutzen wir sie!